Solidarität von Autoritären gegenüber Anarchisten? – Ein Brief von Alessio aus dem Gefängnis in Italien

Veröffentlicht auf von Anarchistische Aktion Zentralschweiz

http://de.contrainfo.espiv.net/files/2012/03/Manifestazione-NO-TAV-anarco-insurrezionalista-valsusina-2-1024x842.jpgFolgende Passage wurde von den Gefährten von CetteSemaine übersetzt:

Wir wissen, dass die Frage der Solidarität gegenüber der Repression, und besonders gegenüber der Einsperrung von Kameraden nicht immer eine selbstverständliche ist. Um nicht jedes mal bei Null zu beginnen, übermittelt uns die Erfahrung, dass eine der Art und Weisen, sich nicht niederschlagen zu lassen und seine Solidarität auszudrücken, jene ist, den Kampf fortzuführen, während wir auch die Ideen verteidigen, die wir mit den Kameraden teilen, die eingeknastet sein. Es ist hauptsächlich aus diesem Grund, dass, angesichts der Repression mit den Autoritären “Einheitsfronten” zu bilden (ohne  von den Gewerkschaften und den Linksparteien zu sprechen) nur zur Verwirrung und zur Abschwächung eben dieser Ideen, des Wieso unseres Kampfes für die Freiheit beitragen kann.
Unglücklicherweise geschieht es gelegentlich, dass gewisse Autoritäre versuchen, ihr Salzkorn unter den Elan von Solidarität gegenüber Kameraden zu mischen, trotz der Positionen der Eingesperrten oder jener, die sich in den Strassen und Versammlungen ausdrücken. Eine der Möglichkeiten, auf diese Rekuperation zu erwidern, kann es also sein, seine eigenen Inhalte klarzustellen, wenn dies nicht ausreichend getan wurde, oder, indem man beispielsweise öffentlich, von der einen oder anderen Seite der Gitterstäbe aus, ausdrückt, wieso ihre “Solidarität” nicht jene ist, die willkommen ist.

In Italien ist Alessio einer jener Kameraden, der nach den Hausdruchsuchungen vom vergangenen 26. Januar infolge der Konfrontationen im Val Susa im  Sommer 2011 in Untersuchungshaft genommen wurde. Noch immer im Gefängnis von “La Vallette” von Turin eingesperrt, hat er schon mehrere Briefe geschrieben. Gleich nach den Verhaftungen haben zwei Orte von Napoli, die an die sozialen Zentren (post-Disobbedienti) gebunden sind, ein Kommuniqué der “Solidarität und Komplizenschaft” mit ihm veröffentlicht. Nachdem er drinnen davon erfuhr, hat Alessio eine Woche später einen Brief veröffentlicht, in dem er zwei drei kleine Punkte klarstellen will. Wir veröffentlichen hier eine Übersetzung davon.

 

Antwort von Alessio auf des Solidaritätscommuniqué von Ska und Officina99

Im Bezug auf das Solidaritätscommuniqué von Ska und Officina99 empfinde ich das Bedürfnis, einige Präzisierungen anzubringen. Nur einige Linien, die sehr einfach zu verstehen sind, wenn man sie mit Aufmerksamkeit liest, anschliessend werde ich nicht mehr darauf zurückkommen, zumindest nicht, solange ich nicht von einem anderen, ebenso abstossenden Communiqué wie diesem dazu gewungen werden sollte.

Die Worte, und vor allem die Texte, haben immer ein Gewicht, es ist also wichtig, sich dessen bewusst zu sein, wenn man sich an andere Individuen richtet, vor allem, wenn sich diese letzteren im Gefängnis befinden.

In eurem Communiqué behandelt ihr mich als einen Kameraden, der sich gegen dieses faschistische System, in ökologischen Kämpfen, gegen die Präkarität und in der Verteidigung von Gebieten engagiert.

Ich erinnere euch daran, dass ich Anarchist bin. Ich engagiere mich nicht im Kampf als ob es eine Sonntagsbeschäftigung wäre: ich suche tagtäglich nach Ansetzpunkten für den Angriff und ich benutze diese um das bestehende politisch-ökonomische System zu treffen. Als Anti-autoritärer verachte ich jedes Machtsystem, sei es Demokratisch oder Faschistisch, Kommunistisch oder Liberal. Ich kämpfe gegen den Staat und das Kapital.

Und es ist eben weil ich den Staat als Wachhund des Eigentums der Bosse betrachte, dass ich mich widerholt mit seinen bewaffneten Truppen konfrontierte.

Es ist gewiss nicht aufgrund von ökologistischen Anwandlungen, dass ich gegen die Öffnung von neuen Müllanlagen [in Napoli] oder gegen den Bau des TAV [im Val Susa] kämpfe. Ich habe in diesen Kämpfen schlicht meine Methoden und meine Ideen beigetragen, um die Macht zu bekämpfen. Denn ich betrachte die Solidarität als eine Waffe und ich weiss sie zu benutzen.

Ihr erlaubt euch ausserdem, meine Aktion mit den Kämpfen gegen die Prekarität zu verbinden. Es gäbe nichts fälscheres.

Ich bin für die komplette Zerstörung des Eigentums, ich betrachte den Betrug der Lohnarbeit, was auch immer ihre Form ist, als einen Krebs, der die Individuen in einwilligende Wesen verwandelt hat, die sich für etwas mehr als 30 Jahre [Anspielung auf den Kredit, Anm.d.Ü.] irgendeiner beliebigen Schweinerei der Bosse gefügt haben.

Dieser Ersatz für das Leben, in dem wir anderen Ausgebeuteten uns täglich abmühen, basiert auf der Produktion von Waren und Dienstleistungen. Und die Verwantwortlichen von all dem sind auch die Arbeiter. Ob sie nun prekär oder mit einem Vertrag auf unbestimmte Dauer angestellt sind.

Was die Verteidigung von Gebieten betrifft, da irrt ihr euch in mir.

Ich interveniere in Gebiete dieser Art, weil ich mir bewusst bin, dass sich die Arroganz der Macht überall ausdrückt.

Und ich stelle micht folglich überall entgegen, sei es zwischen den Mauern eines Gefängnis oder auf der Strasse. Es ist überall notwendig, zu kämpfen, um dafür zu sorgen, dass sich die soziale Konfliktualität immer mehr entzündet, ohne irgendeine Mediation mit den Institutionen.

Besonders in Anbetracht dieser letzten Aussage will ich euch herzlich einladen, euch nicht mehr zu erlauben, und sei es von fern, euch meine Komplizen zu nennen.

Ich bin Komplize mit Individuen, die während den Angriffen gegen die Macht über keinen anderen Schutz verfügen, als die Praktizierung ihrer Ideen, die Respektierung des gegebenen Wortes und die Abwesenheit von politischem Kalkül, ohne irgendeine Mediation mit dem Staat und seinen Institutionen.

Ich werde abschliessen, indem ich eine letzte Sache anmerke: wenn ihr behauptet, eure aktivistische Solidarität mit all jenen auszudrücken, die im Griff des bewaffneten Arms des Staats sind, habt ihr dann im Kopf, dass es im Gefängnis ganze Sektionen gefüllt mit Denunzianten, Drecksäcken verschiedener Art und Faschisten gibt?

Denkt gut darüber nach: Als Anarchist bin ich für die vollständige Zerstörung des ganzen Knastsystems. Ich würde nicht einmal einem Denunzianten das Gefängnis wünschen, aber ich würde mich davor hüten, ihm meine Solidarität zukommen zu lassen.

Wie ich am Anfang dieses Textexs sagte, die Worte wie die Schriften haben eine Gewicht, es wäre angebracht, gut darüber nachzudenken.

Alessio del Sordo

 

Um ihm zu schreiben:

Alessio Del Sordo
c.c. via pianezza, 300
10151 – torino
italie

 

Übersetzt aus dem Italienischen. Die genannte Solidaritätserklärung wurde am 27. Januar auf Indy Naples publiziert, die Antwort von Alessio auf arragia am 5. März.

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